DHZ 12/2015 - page 7

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DEUTSCHE
HEBAMMEN
ZEITSCHRIFT 12/2015
Vereinbarkeit von Familie und Beruf
| Politik & Gesellschaft
unterschiedlich, sobald die Familiengründung beginnt. Denn
die Mehrzahl der Mütter reduziert ihre Arbeitszeit in der Fami-
lienphase. So arbeiten beispielsweise nur 40 Prozent der 28-jäh-
rigen Mütter, imGegensatz zu rund 80 Prozent der Frauen ohne
Kinder. Ist das jüngste Kind unter zehn Jahren, sind rund 60
Prozent der Frauen erwerbstätig, rund 20 Prozent arbeiten in
Vollzeit, die große Mehrheit von Frauen aber in Teilzeit.
Die höchste Erwerbstätigenquote mit 70 Prozent erreichen
Mütter erst im Alter von 40 bis 50 Jahren, während die meis-
ten Frauen ohne Kind(er) mit rund 80 Prozent im Alter von 30
bis 40 Jahren erwerbstätig sind. Erst ab Mitte 40 nähern sich
Erwerbstätigenquoten von Frauen mit und ohne Kinder wieder
an (Keller & Haustein 2014, S. 734). Dann allerdings hat sich der
Umfang der Arbeitszeit stark verändert. Während der gesamten
Erziehungsphase und keineswegs nur, solange die Kinder im
Grundschulalter sind, arbeiten Mütter in Deutschland über-
wiegend in Teilzeit.
Einmal Teilzeit – immer Teilzeit
In den 1980er und 90er Jahren galt Teilzeit als privilegier-
te Möglichkeit, Beruf und Familie zu vereinbaren, Anschluss
an die Erwerbsarbeit zu halten und im Beruf aktiv zu bleiben.
Teilzeit erschien als moderne Form des Ernährermodells in der
Kleinfamilie der Nachkriegszeit.
Heute zeigt sich Teilzeit immer öfter als nachteilige und
prekäre Erwerbsform, vor allem bei geringfügiger Beschäfti-
gung oder mit 20 und weniger Stunden Arbeit je Woche. „Ein-
mal Teilzeit – immer Teilzeit“ ist für viele Frauen Realität. Das
Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, das 2007 in Kraft trat,
sollte helfen, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Mit dem
Elterngeld sollte zumindest teilweise der Einkommenswegfall
kompensiert werden, wenn Mütter nach der Geburt ihre Ar-
beitszeit reduzieren. So ist während der Elternzeit eine Teil-
zeitarbeit bis zu maximal 30 Wochenstunden möglich. Doch
vielerorts ist mit dem dritten Geburtstag des Kindes kein Be-
treuungsplatz in dem Umfang vorhanden, wie er gebraucht
wird. Denn nach dem Elternzeitgesetz darf bis zum dritten
Lebensjahr die Arbeitszeit zwar reduziert werden, doch ein
Rückkehrrecht danach besteht nur auf eine Stelle, die dem
gleichen Arbeitsumfang entspricht wie vor der Elternzeit. In
einer Konstellation, in der oft über Jahre eine Arbeitsteilung
festgelegt wurde, scheint eine Vollzeittätigkeit in vielen Arbeits-
verhältnissen keine Wahlmöglichkeit mehr für Frauen zu sein
(siehe Abbildung 1).
Das Teilzeitgesetz, nach demmeist in den darauf folgenden
Jahren in Teilzeit gearbeitet wird, regelt das Recht auf Redu-
zierung der Arbeitszeit und kennt kein verbrieftes Recht auf
Wiederaufstockung.
Zudem werden viele Stellen heute nur noch als Teilzeitbe-
schäftigungen ausgeschrieben. Vor allem in einigen typischen
Frauenberufen sind prekäre Arbeitsverhältnisse, „verordne-
te“ Teilzeit, befristete oder geringfügige Arbeit inzwischen
das „weibliche Normalarbeitsverhältnis“. Ganze Branchen,
wie der Einzelhandel oder das Gaststättengewerbe, haben
Vollzeit- oder vollzeitnahe Stellen abgebaut und im gleichen
Umfang in Minijobs umgewandelt. Seit Jahren werden rund
70 Prozent der Minijobs von Frauen ausgeübt. Je niedriger die
beruflichen Bildungsabschlüsse sind, desto häufiger arbeiten
Mütter in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen und
desto niedriger ist auch die Erwerbstätigenquote allgemein
(BMFSJ 2014).
In der Pflege, im Friseurhandwerk oder in Dienstleistungsbe-
rufen – den typischen Frauenberufen – ist der Lohn vergleichs-
weise niedrig. Häufig gibt es keine Tarifverträge. Von den rund
8,4 Millionen Beschäftigten im Niedriglohnbereich sind etwa
63 Prozent weiblich (Kalina & Weinkopf 2014).
Immer öfter fehlen soziale und arbeitsrechtliche Absiche-
rungen, werden betriebliche Leistungen wie Urlaubs- oder Kran-
kengeld verweigert und es gibt keine Teilnahme an berufli-
cher Fort- und Weiterbildung. Und nicht
zuletzt begründen die vom Gesetzgeber
steuerlich begünstigten geringfügigen
Beschäftigungen keinen eigenständigen
und vergleichbaren Zugang zu den sozia-
len Sicherungssystemen, wie der Arbeits-
losen-, der Kranken- und der Rentenver-
sicherung.
Auch wenn die Zahlen der Frankfur-
ter Karrierestudie „Die Illusion von der
Vereinbarkeit von Familie und Karriere“
von 2011 schon einige Jahre alt sind – an
der Benachteiligung von Müttern am
Arbeitsmarkt hat sich nichts Wesentliches geändert (Ziegler
& Graml 2011). Danach gaben 2010 72 Prozent der befragten
Mütter an, dass als Reaktion auf die Schwangerschaft Karri-
ereschritte ausgesetzt oder gestrichen wurden. Lediglich 42
Prozent gaben an, dass anstehende Gehaltserhöhungen wie
geplant umgesetzt wurden. Probleme hatten Mütter auch bei
der Rückkehr nach einer familiären Unterbrechung. 30 Prozent
gaben an, dass ihr Arbeitsplatz dauerhaft durch eine andere
Person besetzt oder weggefallen war. Zwar kehrten 68 Prozent
nach Mutterschutz und Elternzeit in das Unternehmen zurück,
doch 26 Prozent sind nicht mehr auf ihren alten Arbeitsplatz
zurückgekehrt.
Atypische und prekäre Beschäftigung
Bei Müttern wirken allgemeine arbeitsmarktpolitische Ent-
wicklungen und frauenspezifische Benachteiligung zusammen.
Überdurchschnittlich viele arbeiten in prekären und atypi-
schen Beschäftigungsverhältnissen. Als atypisch bezeichnet
man alle Formen von Arbeit, die vom sogenannten „Normal-
arbeitsverhältnis“ abweichen, das heißt vom unbefristeten, in
der Regel Vollzeit umfassenden und tariflich geregelten Ar-
beitsverhältnis.
In welchemUmfang und in welcher Struktur erwerbstätige
Mütter arbeiten, hängt vor allem von der Familienform ab, in
der sie leben. So arbeiteten Ehefrauen mit Kindern unter drei
Jahren 2013mit 25 Prozent am seltensten in Vollzeit. Mütter, die
in nichtehelicher Partnerschaft lebten, arbeiten zu 37 Prozent,
alleinerziehende Mütter zu 35 Prozent in Vollzeit. Im Vergleich
Die Autorin
Carola Bury
ist Referentin für
Gesundheitspolitik bei der
Arbeitnehmerkammer Bre-
men und arbeitet zu den The-
men Armut, Frauengesund-
heit und Sozialgesetzgebung.
Kontakt: bury@
arbeitnehmerkammer.de
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Abbildung 1: Vollzeit- und Teilzeitquoten nach dem Alter des jüngsten Kindes
(Haustein & Keller 2012, S. 1084)
1,2,3,4,5,6 8
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