Editorial
DEUTSCHE
HEBAMMEN
ZEITSCHRIFT 12/2015
Thema:
Geburt aus Beckenendlage
Die Beckenendlage ist wie die Schädellage
eine Längslage – und damit eine geburtsmögliche Posi-
tion. Welche Formen der Beckenendlage sind möglich?
Wie ist jeweils ihre Prognose für die vaginale Geburt?
Auch die Chancen einer äußeren Wendung sollten in
Betracht gezogen werden. Um informiert entscheiden
zu können, benötigen die Eltern eine gute Aufklärung.
kurz & bündig
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Thema
GEBURT AUS BECKENENDLAGE
16 Beckenendlagengeburten:
Perfekte Choreografie
Bärbel Basters-Hoffmann über Geburten
aus Steißlage am Evangelischen
Diakoniekrankenhaus in Freiburg
22 Die Lage (er)kennen
Manuela Tavares de Sousa betrachtet Spontan-
geburten und assistierte Geburten aus BEL
28 Studie aus Brandenburg zur BEL-Geburt:
Die Expertise ist entscheidend
Simone Schneider liefert Daten zur
Beckenendlagengeburt
34 Interview mit Frank Louwen zur
Beckenendlage, Teil 1: „Der Kopf bleibt
nicht stecken“
Katja Baumgarten im Gespräch über
den Umgang mit der Beckenendlage als
physiologische Längslage
Foto: © Karl Johaentges
Bevor das Wissen verloren geht
In meiner Ausbildung, Ende der 1970er, An-
fang der 80er Jahre, habe ich mein Wissen über
Beckenendlagengeburten (BEL) vor allem durch
Unterweisungen am geburtshilflichen Phantom
und aus Lehrbüchern bezogen. Bei einer realen
Geburt aus Steißlage war ich als Hebammenschü-
lerin selten dabei, und wenn nur als Zuschauerin
von Ferne. Bereits damals wurde eine großzügige
Kaiserschnittindikation bei BEL als „modernes“
Vorgehen propagiert, insbesondere bei Erstgebä-
renden – so auch in der Uniklinik meiner Hebammenschule,
obwohl sie ansonsten keineswegs „fortschrittlich“ eingestellt
war.
Vielleicht durch den Mangel in meiner Ausbildung habe
ich mich seitdem besonders für die Geburtshilfe bei BEL inter-
essiert und mich bemüht, von erfahrenen GeburtshelferInnen
zu lernen, ohne sie je selbst praktiziert zu haben. Die erste, die
mir bereitwillig ihr Wissen durch ihre schillernden Beschrei-
bungen weitergab, war Hedwig Strauch. Die über 60-Jährige
war eine meiner Vorgängerinnen als Hausgeburtshebamme
in Hannover und hatte die BEL-Geburtshilfe noch in ihrer
Heimat in Ostpreußen gelernt. Zwar verstand sie diese Beson-
derheit als Herausforderung geburtshilflich-handwerklichen
Geschicks und Könnens, nicht aber als Pathologie der Geburt.
Komplikationen habe sie bei BEL-Geburten nur einmal erlebt,
erzählte sie mir – und zwar in der Klinik: Auf Druck des Ge-
sundheitsamtes wegen ihrer regelmäßigen Hausgeburtshilfe
bei BEL war sie mit einer Fünftgebärenden ins Krankenhaus
gefahren. Sie erinnerte sich, wie dort ein unerfahrener, nervö-
ser Arzt am Kind gezogen habe. Und wie es ihm anschließend
nicht geglückt sei, die hochgeschlagenen Arme zu lösen. Sie
war dabei und konnte für das Kind nichts tun. Noch im Alter
hat sie sich verantwortlich gefühlt, dass ein gesundes Kind auf
diese Weise gestorben war.
Meine Sorge um den Verlust geburtshilflicher Kunst entwi-
ckelte ich, lange bevor die kanadische Hannah-Studie im Jahr
2000 zu fragwürdigem Ruhm kam. Sie wird von den meisten
als die entscheidende Zäsur beim Rückgang der vaginalen
BEL-Geburt wahrgenommen. Doch schon zu Beginn meiner
Berufstätigkeit in den 80er Jahren waren es vor allem einzel-
ne ältere, erfahrene GeburtshelferInnen, die die manuelle
BEL-Geburtshilfe noch sicher und selbstbewusst beherrschten.
Die Stafette dieses Könnens wurde unzureichend weiterge-
reicht, nur wenige ambitionierte NachfolgerInnen nahmen sie
entgegen.
Erst heute erlebe ich, dass anscheinend an der vaginalen
Beckenendlagengeburt und auch an der äußeren Wendung
wieder ein breiteres ernsthaftes Interesse aufgekommen ist.
Das zeigt sich etwa in aktuellen Kongress- und Fortbildungs-
programmen. Um das alte, selbstverständlich gelebte Wissen
neu zu verwurzeln, könnte es fast zu spät sein. Allen, die dazu
beitragen, gilt meine Hochachtung – wenn sie, sprichwörtlich
„fünf vor zwölf“, die geburtshilfliche Kunst weiterhin für die
Praxis sichern können.
Katja Baumgarten
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